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Gedanken zum Grand Prix 2025

Alle vier Spiele im diesjährigen Grand Prix kann man online im Browser spielen.

Die Parserspiele der bekannten Autoren haben mir am besten gefallen, auch wenn ich bei allen dreien wegen Schwierigkeiten mit dem Parser oder der Motivation zwischendurch nicht weiterwusste.


Das Schneemädchen von Michael Baltes (Z-Code)  ⟶ 
Eine gelungene, märchenhafte Vignette um zwei Liebende im alten Japan, bei der ich aber im ersten Teil nicht immer genau wusste, was ich machen muss. Trotzdem einer meiner beiden Favoriten: gut

Wo ist Mr. Beaver? von Stefan Hoffmann (HTML + JS)  ⟶ 
Die neueste Version des vom Autor entwickelten Systems wird mit einem Rätselfest demonstriert: Mr. Beaver ist in seinem seltsamen Laden verschwunden. Die Suche nach ihm ist nicht immer ganz trittsicher implementiert, aber im Großen und Ganzen befriedigend

Gefeuert von Olaf Nowacki (Glulx)  ⟶ 
Eine kurze und sehr surreale Geschichte, die schnell ihren Ton setzt und ihn durchzieht. Der inkompetente, selbstverliebte Chef hat mich gefeuert, aber ich habe Material gegen ihn in der Hand – wenn ich es finden kann. Rasant, wenn man die Hilfe nutzt: gut

Der finale Tag von Michael Wittmann (Twine)  ⟶ 
Das Leben nach dem Tod ist eine Bürokratie, die eine Wieder­geburt prüft. Weil der Prüfer jede Auswahl selbstgefällig kommentiert, sind die Texte zu lang. Das Spiel ist scheint’s noch nicht fertig: ausreichend


Es folgen genauere Betrachtungen zu den Spielen, bei denen ich keine Rücksicht darauf nehme, ob ich zuviel verrate. Wahr­schein­lich ist das Meiste sowieso schon im Forum erörtert worden.

Das
Schneemädchen

Michael Baltes · Z-Code

Eine märchenhafte Geschichte, die im alten Japan spielt: Der Schreiber Hideyuki will seine Verlobte Himari besuchen. Weil er bei der Rast einschläft, muss er die Reise aber unterbrechen und ein Nachtlager in den Bergen suchen.

Das ist alles sehr unaufgeregt und sehr japanisch und auch ganz gut in Inform umgesetzt worden. Allerdings wusste ich nicht genau, was genau mein Ziel ist.

„Das Schneemädchen“ hat nämlich zwei Teile: Im ersten begeht Hideyuki einen Tempelfrevel und wird dafür mit dem Tode bestraft. Im zweiten Teil macht sich Himari auf den Weg, um zu sehen, ob Hideyuki etwas passiert ist. Das Schneemädchen bietet Himari die Möglichkeit, Hideyuki wieder zum Leben zu erwecken.

Als Hideyuki habe ich aber wenig Motivation, den Tempel zu entweihen. Ich brauche ein Nachtlager. Im Tal blühen die Kirschen. Auf dem Berg, wo der Tempel steht, ist es eisig kalt. Es gibt eine Feuerstelle, aber kein trockenes Holz. Trotzdem geht die Geschichte nur weiter, wenn ich die Figur des Mädchens als Brennholz verwende. Mein erster Gedanke war, dass ich die Figur, die ja immerhin in einem Kästchen eingleschlossen war, für ein Ritual benötige.

Als mir schließlich klar wurde, was ich machen musste, kam ich trotzdem nicht weiter, weil ich nicht genau wusste, wie ich das Feuer mit dem Stein entzünden sollte. Daher habe ich in der Musterlösung nachgesehen, die in zwei Kapitel aufgeteilt ist, „Hideyuki“ und „Himari“. Schade, habe ich da gedacht – dass ich später noch Himari spiele, hätte ich gerne aus dem Spiel erfahren.

Abgesehen davon, dass ich nicht darauf gekommen bin, den Stein gegen die Steine an der Feuerstelle zu schlagen, funktioniert diese Art des Feuermachens ja nicht, wenn ich eine massive Holzfigur anzünden möchte. Und schon gar nicht verstärkt sich die Glut, wenn ich mehrmals gegen die Steine schlage. Na klar, es ist ein gut abgehangenes Klischee: Feuerstein auf Steine schlagen gibt Feuer!* Und es ist eine eher märchenhafte Geschichte. Geschenkt.

Denn obwohl zwei zentrale Punkte – warum und wie man die Figur verbrennt – mich gestört haben, habe ich das Spiel doch gerne gespielt. Diese reduzierte, japanische Welt mit stereo­typischen Elementen – die Kirsch­blüten, der Shinto-Schrein, der Kimono –, die märchenhafte Erzählung, die schnörkellosen Texte, das ist schon sehr stimmig.

Ab und zu tritt das Weltmodell von Inform zu sehr in den Vordergrund, zum Beispiel beim Felsplateau, und das Gespräch Himaris mit dem Schneemädchen ist etwas lang. Außerdem finde ich, dass die Reihenfolge der Orte, an denen Hideyukis Halskette auftaucht, nicht festgelegt sein sollte. Dass man die Kette immer dort findet, wo man gerade sucht, würde eher zu diesem etwas traumhaften Spiel passen.

Sei’s drum. Mir hat das Spiel gefallen.

Wo ist
Mr. Beaver?

Stefan Hoffmann · HTML + Javascript

Stefan Hoffmann arbeitet sei einigen Jahren an einem System für Textspiele, mit dem ich allerdings nicht so recht warm werde. Das ist bei dem neuen Spiel nicht anders: Ich werde zunächst einen Tick zu lang mit „Loading ...“ begrüßt, kurz darauf kommt wieder ein Dialog, in dem mein bevorzugter Spielstil – einfaches Multiple-Choice, komplexeres Multiple Choice oder Texteingabe – auswählen soll.

Ich finde diese Herangehensweise falsch und habe dazu schon in meinen Besprechungen 2024 und 2022 einiges gesagt. Die Optionen für das Point-and-Click-Interface sind mir wie bei den früheren Spielen zu weit über das Anwendungs­fenster verstreut, also wähle ich die reine Texteingabe und mache mich an das Spiel. Dass die Anwendung im Browser läuft, ist jedenfalls schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.*

Ich spiele einen Postboten, der ein Einschreiben für den titelgebenden Mr. Beaver zustellen soll. Mr. Beaver führt einen Zauberladen voller Gerümpel. Der Laden wird nicht explizit als magisch bezeichnet, aber das Sammelsurium darin lässt das vermuten und macht den Laden zu einem super Schauplatz für ein klassisches Rätselfest.

Das größte Problem von Mr. Beaver ist, dass ich nie genau weiß, welches Rätsel ich als nächstes angehen soll. Rätselspiele wie dieses haben normalerweise eine breite Spielwelt: Es werden viele Hindernisse präsentiert und man kann an mehreren Dingen arbeiten. Wenn ein Hindernis beseitigt wird, gibt es Hinweise oder konkrete Werkzeuge zum Lösen eines anderen.

Das ist hier auch so, nur dass die Hindernisse nicht physisch, sondern moralisch sind. Der Briefträger macht sich Sorgen um den kauzigen Mr. Beaver, aber eigentlich hat er nichts in dessen Laden zu suchen. Zu Beginn hat man Scheu, die Waren aus dem Laden zu benutzen und abgeschlossene Räume zu betreten. Diese Scheu weicht mit zunehmender Erkenntnis, dass Mr. Beaver etwas passiert sein muss. Die Statuszeile präsentiert die Besorgnis in Abstufungen von arglos bis verstört und wenn die Sorge zunimmt, wird mir das in einem Absatz in Fettdruck mitgeteilt.

Aber was bedeutet das? Wieso kann ich zum Beispiel irgendwann den Erste-Hilfe-Kasten aufmachen oder das Deckchen nehmen, aber nicht den Bezug von der Sessellehne entfernen oder das Regal verschieben, um an den Taucheranzug zu kommen? Mir ist nicht klar, welche moralische Barriere beseitigt wird, wenn ich besorgt und nicht mehr nur beunruhigt bin. Das heißt, ich muss alle offenen Probleme noch einmal angehen und mir bei den meisten wieder eine Abfuhr holen.

Dazu kommt, dass ich nicht ganz verstanden hatte, dass Mr. Beaver in der Truhe im Aquarium war.** Die Truhe war wichtig, aber dass Mr. Beaver darin steckte, habe ich nicht sofort verstanden.

Man kann natürlich die Hilfe verwenden, die einem, auch wenn man keine Tipps anfordert, Hinweise darauf gibt, woran man arbeiten sollte. Leider funktioniert das auch nicht immer sicher: Die Lösung zum Jenga-Turm verweist auf einen Gegenstand, den ich im Keller finde, aber ich habe den Keller noch nicht betreten.

Schließlich gibt es ein paar Hakeligkeiten, die vielleicht dem hybriden Charakter des Spiels als Zwischending zwischen Parser- und Multiple-Choice-Spiel geschuldet sind. Viele Wörter, die das Spiel selbst benutzt – „Bartschlüssel“, „Polster“ statt Armlehne, „Hund“ statt Barky –, versteht der Parser nicht und einige Genera sind falsch und bringen so die Pronomen durcheinander. Manchmal ist das Spiel zu kleinteilig umgesetzt, etwa das „Hahnstück“ am Wasserhahn.

Bei ein paar Guess-the-verb-Situationen kommt einem die Menüsteuerung zupass, aber ich finde die Ein- und Ausblendung des Menüs zwischen Spieltext und Eingabe zu unruhig.

Aber gut, genug gemäkelt. Die Idee, einen Briefträger nach Mr. Beaver suchen zu lassen, ist eine gute Prämisse, auch wenn durch den vollgestopften Laden die Beschreibungstexte zu lang werden. Die Rätsel sind im Großen und Ganzen in Ordnung und es gibt ein paar hübsche Einfälle.

Das Mikrofon-Icon habe ich natürlich schön in Ruhe gelassen. Und was war denn mit den Grafiken? Ich habe sie eingeschaltet, aber außer der Titelgrafik nichts gehehen.

Gefeuert

Olaf Nowacki · Glulx

Nach seinem Ausflug ins Ernste im letzten Jahr macht Olaf nun wieder Olaf-Sachen. Und das ist gut so, denn es bedeutet, dass „Gefeuert“ ein kurzes, schnell getaktetes Spiel in einer absurden Umgebung mit einer deutlich erkennbaren eigenen Sprache ist.

Schauplatz ist ein surreales Bürogebäude. Neben den üblichen Büroutensilien gibt es eine gebohnerte Treppe, die eigentlich eine Rampe ist, einen Fahrstuhl, der sich nicht für jeden öffnet und eine verborgene Service-Etage.

Die eigene Sprache sind hier die fast schon tourette-artig heraus­gestoßenen Ausdrücke, mit dem der Spieler seinen Chef bedenkt, den Schweine­priester also, der ihm gekündigt hat und gegen den er genug Beweismaterial in der Hand hat. Oder besser hätte, denn die belastenden Ausrucke sind verschwunden.* Sie wieder­zu­finden ist die Aufgabe in diesem Spiel.

Das ist gewiss nicht jedermanns Sache, aber ich lasse mich gerne darauf ein. Nach dem schnellen Einstieg geht es rasant weiter. Das Büro ist zwar eigenartig, aber sparsam möbliert und so gibt es wenige Hindernisse. Als es im Büro des Chefs einmal hakt, schaue ich schnell in die Hilfe, damit der Schwung nicht verloren geht. Die Dokumente sind schnell gefunden und weil sich mein Jähzorn nicht in Beleidigungen für meinen Chef, den fiesen Schmier­lappen, erschöpft, wird für meinen Abgang mit Knalleffekt auch noch die Bude angezündet – natürlich, ohne mich dabei erwischen zu lassen.

Ja, manchmal hat man solche Fantasien.

Die Hilfe ist ins Spiel integriert. Man muss die Tipps jedoch mit Punkten erkaufen.** Vermutlich ist das der Grund, warum es für viele Aktionen Punkte gibt, zum Beispiel dafür, das man den Fleck im Büro untersucht, obwohl man dessen Bedeutung erst später erkennen kann.

Mir hat das alles Spaß gemacht.

Aber warum gefällt mir dieses eher kurze Werk besser als die wesentlich längere Übersetzung, die Olaf letztes Jahr eingereicht hat und in die viel mehr Arbeit geflossen ist? Die „Spaßdichte“ mal wieder, vermute ich. Das Leben ist ungerecht.

Der finale Tag

Michael Wittmann · Twine

Das Spiel erwischt mich schon zu Beginn auf dem falschen Fuß. Ich mag das sperrige „final“ im Titel nicht. Es kommt eine Triggerwarnung und dann kommt auch noch Musik aus den Kopfhörern, die ich gar nicht aufgesetzt habe. Und es gibt einen Aufruf, den Autor finanziell zu unterstützen. Das ist auf jeden Fall mal etwas anderes.

Die Musik funktioniert für mich überhaupt nicht. Ich höre eigentlich nie Musik, wenn ich Texte lese. Hier wird zu jedem Untermenü ein neuer Track gespielt, was sehr unruhig ist*. Die einzelnen Stücke sind fetzig und haben Gesang, was mich beim Lesen stört. Zum Glück kann man den Tab stummschalten.

Im Spiel geht es um das Leben nach dem Tod. Allerdings nicht als spirituelle oder philosophische Betrachtung, sondern als Komödie: Nach dem Tod wartet eine Bürokratie, die das Leben jedes Verstorbenen bewertet und prüft, ob und als was derjenige wiedergeboren werden soll. Das Rechner­system ist ausgefallen und die „Berater“ müssen die Bewertung in einem Einzelgespräch vornehmen.

Das Twine-Spiel ist ein Durchlauf dieses Gesprächs, in dem mich der Berater vor bestimmte Situationen stellt und meine Reaktion mit Punkten bewertet. Meine Auswahl wird oft „höhnisch“ oder „verächtlich“ kommentiert. Das soll gewiss launig klingen, ich finde diese Kommentare eher billig. Bei manchen Bemerkungen wie denen über Nicht-Entscheidungen oder geschlechter­neutrale Toiletten weiß ich nicht genau, ob sie der Autor dem Berater nur in den Mund gelegt hat.

Im Testlauf sind die Auswahlmöglichkeiten noch einigermaßen plausibel. Im tatsächlichen Test muss ich mich dann zum Beispiel entscheiden, ob ich nach dem Aufstehen erst zur Toilette gehe oder mir die Zähne putze. Später dann muss ich mich zwischen drei Toilettenkabinen, die mir nicht näher beschrieben werden, entscheiden. Aus solchen Entscheidungen lässt sich natürlich keine Grundlage für die Wiedergeburt ermitteln. Aber eh klar, der Dienstellenleiter erklärt es mir später: Wie ich mich entscheide ist egal, den „Kunden“ soll nur die Illusion gegeben werden, dass sie auf ihre Wiedergeburt Einfluss nehmen können. Die Wieder­geburt selbst am Ende eines Durchlaufs wird offen gelassen.

Das alles wird in zu langen Texten präsentiert. Das Spiel scheint auch nicht ganz fertig zu sein, denn gegen Schluss sagt mir der Berater oft, dass dieses oder jenes Szenario noch nicht ganz ausgearbeitet sei. Ich habe aber nach ein paar Durchläufen gesehen, was ich sehen musste, um festzustellen, dass mir dieses Spiel nicht liegt.

Oh, ja, die Triggerwarnung am Anfang. „Diese interaktive Geschichte beleuchtet den Tod aus verschiedenen Perspektiven“, wird da gewarnt. Das stimmt nicht. Der Tod spielt hier nach dem Eintritt in die Mühlen der Bürokratie keine Rolle mehr. Im ersten Bild wird der Tod mit Kapuze und Sense dargestellt, wie es mittlerweile nur noch in Cartoons und an Helloween gemacht wird. Eine eventuell verstörende Darstellung des Todes, wie es die Warnung suggeriert, gibt es nicht.

Das Spiel ist mit von generativen KIs erzeugten Bildern illustriert. Das ist ganz gut gelungen, weil der Stil und die Farbpalette der Illustrationen untereinander konsistent sind. Überhaupt haben die Schauwerte im Spiel ein hohes Niveau.

Was mich allerdings befremdet, ist die penetrante Verlinkung zur Homepage des Autors, auf der es nicht viel zu sehen gibt: Ein Blog mit drei Einträgen. Der letzte ist über den Grand Prix, die beiden davor sind mehr als fünf Jahre alt.** Eine fast leere Seite auf itch.io. Diese professionell gestaltete und beworbene Inhalts­losigkeit ist eigenartig.***

Vielleicht ist das auch das, was mich am meisten stört: Dieses Spiel ist nur Fassade.


[Ich wollte noch ein paar geistreiche Bemerkungen zu Spielen mit Parser und zum Trend hin zu online-Spielen machen. Als ich meine Notizen durchgelesen habe, erschienen sie mir nicht mehr ganz so geistreich. Mal sehen.]