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Gedanken zum Grand Prix 2023

Auch dieses Jahr gab es wieder einen Grand Prix.


Das Geheimnis von Beagle's Rock von Michael Baltes (Gruescript)  ⟶ 
Der Spieler erbt ein Anwesen in England, das natürlich ein Geheimnis birgt. Nach einem zügig getakteten ersten Teil gelangt man in das Anwesen, in dem man dann mehrere Hinweise entschlüsseln muss, um das Geheimnis zu lüften: befriedigend

Fischstäbchen von Olaf Nowacki (Z-Code)  ⟶ 
Das Spiel setzt auf das Erfolgsrezept des letztjährigen Gewinners Schief: ein schräges Setting und geschliffene Texte. Das funktioniert ganz gut bis auf die Rätsel, die links und rechts des richtigen Lösungswegs nicht immer gut umgesetzt sind. Das beste Spiel im Wettbewerb: gut

Gen Norden von Arno Nühm (Z-Code)  ⟶ 
Ein argloser Kommentar des Grand-Prix-Organisators hat uns dieses Remake eines zwanzig Jahre alten Gags beschert. Was soll ich sagen? Die Implementierungs­tiefe hat in zwanzig Jahren zugenommen, die Erzähl­strukturen sind aber immer noch sehr linear: mangelhaft*

Ich, Shub-Jagaroth von Heiko Spies (Gruescript)  ⟶ 
Ein Dämon wird in eine Falle gelockt und muss sich befreien, indem er zunächst auf einer Party eher undämonenhafte Rätsel lösen muss, bis er zum Schluss auf seinen ebenfalls dämonischen Widersacher trifft. Klassisches Rätselspiel: ausreichend


Ich werde die Spiele jetzt genauer anschauen ohne Rücksicht darauf zu nehmen, eventuell zu viel zu verraten. Ich gehe ohnehin davon aus, dass die Handvoll Leute, die diese Rezensionen liest, die Spiele bereits gespielt hat.

Das Geheimnis von
Beagle's Rock

Michael Baltes · Gruescript

Der Onkel war ein deutscher Spion in England und hat sich nach dem Krieg dort niedergelassen. Jetzt ist er gestorben und man erbt das Anwesen in Beagle’s Rock.

Das ist klassisch – der geheimnisvolle Verwandte, zu dem man nie Kontakt hatte, vererbt dem Spieler ein Anwesen, das es nun zu erkunden gilt.

Beagle’s Rock gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil kommt man im Städtchen Beagle’s Rock an, hört Gerüchte und Geschichten und muss an den Schlüssel für das Anwesen kommen. Hier gibt es viele kurze Gespräche, die wichtige Informationen knapp vermitteln. Jeder wichtige Ort – die Kanzlei, die Pension, der Friedhof – werden als ein Raum ohne Neben­räume umgesetzt. Der Marktplatz ist der zentrale Ort, von dem aus man diese Orte betreten kann. Es gibt auch leichte Gegen­stands­rätsel und ein Passwort, das man knacken muss, aber das Wichtigste ist hier, neue Orte durch neues Wissen zu erschließen.

Ist man einmal in das Anwesen gelangt, wird das Spiel zu einem klassischen Rätselspiel: Damit das Geheimnis nicht verloren geht, hat der Onkel Hinweise gelegt, wie man es finden kann. Eine Botschaft muss dechiffriert werden, Statuen in eine bestimmte Position gedreht werden, solche Sachen. Man ist hier auf sich gestellt, es gibt keine anderen Personen mehr. Ein weiterer Unterschied zum ersten Teil ist, dass man sich im Anwesen mit den Himmels­richtungen fortbewegt.

Wenn das Geheimnis gelüftet ist, erfährt man zwei Dinge, nämlich was das Geheimnis ist und dass man die ganze Zeit eine Frau gespielt hat, was mich etwas überrascht hat. Beide Entdeckungen sind aber für das Spiel ohne Belang, denn sobald man das Geheimnis gefunden hat, gibt es eine nicht ganz überraschende Wendung und ein Finale, in dem dann die richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt zur Lösung führt.

Beagle’s Rock lässt sich zügig durchspielen. das liegt natürlich daran, dass die Aufgaben, die man bewältigen muss, nicht sehr schwer sind. Weil immer etwas Neues aufgedeckt wird, hat man das Gefühl, dass es voran geht. Das kann man natürlich nicht lange durchhalten und daher ist Beagle’s Rock recht kurz. Der Gegenspieler tritt vor dem Finale nur als Gesprächs­thema auf, das hätte man ruhig noch ausbauen können, aber es war vermutlich die richtige Entscheidung, für einen Beitrag zum Wettbewerb auf ein zügiges Pacing zu setzen.*

Manche der Aufgaben sind auch ein wenig, sagen wir mal, unglaub­würdig. Dass der Onkel mir Hinweise über verschlüs­selte Gedichte gibt – geschenkt. Aber das Gedöns mit der Hunde­marke und dem Soldaten­grab zum Beispiel ist schon ein bisschen doof. Aber weil die Geschichte sofort weitergeht, hat mich das nicht allzu sehr gestört.

Fischstäbchen

Olaf Nowacki · Z-Code

„Du bist Jun Do, Kapitän des Fischfabrikschiffes [shipname].“ Ist das ein selbst­referenzieller Gag? Eher nicht, die Spiel­beschreibung in den Metadaten kann einfach keine Text­ersetzungen enthalten.

Das Schiff hat im Spiel hatürlich einen Namen, einen sehr klangvollen: Es heißt Tataki. Ich finde sogar, dass dies ein schönerer Name für das Spiel gewesen wäre als das etwas sperrige Fischstäbchen.

Ich bin also Kapitän auf einem Fischtrawler auf der Suche nach Fisch, der sich aber nicht finden lässt. Bevor die Nachtschicht losgeht, muss ich den Koch, Verzeihung, den Smutje finden, einen sehr eigenartigen Typen, der sich in die hinterste Ecke des Schiffs verzogen hat. Das ist clever, denn so lerne ich mein eigenes Schiff komplett kennen, bevor es losgeht. Die Fluchtpläne auf jedem Deck helfen dabei.

Das Spiel verwendet nicht die Himmels­richtungen, sondern die Richtungs­angaben an Bord: Back- und Steuerbord sowie achtern und voraus. Es ist schon eigenartig, wie schwer mir das gefallen ist. Dabei verwechlse ich gar nicht Back- und Steuerbord, sondern gebe aus Gewohnheit Himmelsrichtungen an: Norden ist voraus, Backbord ist Westen. Das ist gewiss kein Fehler des Spiels, sondern meines falsch verdrahteten Landratten-Hirns, aber ich habe mich über die gesamte Spieldauer nicht daran gewöhnt.*

Dann passieren Sachen und der Kapitän muss schnell Entscheidungen treffen. Das klappt meiner Meinung nach nicht mehr so gut, weil ich zwar jetzt mein Schiff gut kenne, aber die sehr kleinteiligen Steuerapparate auf meiner Kommandobrücke nicht. Ich drehe das Steuerrad, muss dann aber explizit auf dem Kompass nachschauen, in welche Richtung die Tataki steuert. Die Warnanzeige ist nach Norden, nicht am Bug des Schiffs ausgerichtet, denn der Tsunami kommt immer von links, also von Westen, egal, in welche Richtung ich fahre. Das scheint mir etwas unintuitiv.

Auch im letzten Teil des Spiels habe ich mich schwer getan. Eigentlich war klar, was ich machen muss, aber bei der Königsdisziplin „Seil, das über mehrere Räume geht“ habe ich mich oft sehr blöd angestellt und genau das Falsche gemacht. Das hat leider etwas den Schwung aus dem Spiel genommen.

Das Spiel setzt auf schräges Ambiente und liegt damit genau auf meiner Wellenlänge. Der Smutje mit den unförmigen Händen, der einen einerseits beim Reden nicht anschauen kann, der aber andererseits ekstatisch „Goooter Wooorm!“ schreit, ist schon große Klasse. So etwas ist natürlich Geschmacksache und kann leicht danebengehen, aber ich finde das wunderbar.

Im Hilfetext erklärt der Autor, dass er deepl.com ausgiebig genutzt hat, um gute Ausdrücke und Synonyme zu finden. Es ist viel Arbeit in die Texte geflossen, aber diese Arbeit hat sich gelohnt: Die Texte sind geschliffen.**

Die Texte und das Setting überwiegen dann auch die Probleme, die ich bei den Rätseln hatte.

Gen Norden

Arno Nühm · Z-Code

Vor etwa zwanzig Jahren hat Jens Bojaryn Gen Süden geschrieben, einen kleinen Gag mit, sagen wir mal, eingeschränkter Spielmechanik. Es war quasi das deutsche Annoyotron.

Der Organisator des Grand Prix, hat mit einer flapsigen Bemerkung im Forum die Erinnerung an dieses Spiel wieder wachgerufen und uns damit wohl das Nachfolgespiel Gen Norden beschert. Es ist auch nicht schwer zu erraten, wer hinter „Arno Nühm“ steckt.

Ich habe nichts gegen solche Gags, auch nichts gegen Insider-Witze in der Community um das IF-Forum. Es ist halt eine Spielerei und so etwas gibt es viel zu selten.*

Das Spiel hat ein paar nette Ideen und jeder der mehr als 250 Schritte ist interessanter als die Vorlage Gen Süden, aber letzlich sind die Betrachtungen des Erzählers und „Ich sehe was, was du nicht siehst“ nicht-interaktive Monologe. (Erörtern Sie, ob man Gen Norden zum Genre der Walking Simulators zählen kann. Warum? Warum nicht?)

Ich,
Shub-Jagaroth

Heiko Spies · Gruescript

Eine Party in einer Villa hat sich gerade aufgelöst. Die Gäste sind bereits gegangen, aber was geht da im Keller vor sich? Auf den ersten Blick erinnert mich das Spiel an The Party Line, das Demo-Spiel für Gruescript. Die beendete Party und das Geheimnis im Keller haben mich aber auch an das Point-and-Click-Adventure Blackout erinnert.

Der Spieler ist kein gewöhnlicher Partygast, sondern ein Dämon, der nach äonenlangem Schlaf geweckt und an diesen Ort gerufen wurde, wo er nun gebunden ist. Diese Bindung muss aufgelöst werden.

Der Spieler tritt in Menschengestalt auf, kann sich aber „offenbaren“, also seine Dämonengestalt zeigen. Der Dämon hat andere Möglichkeiten, die Rätsel zu lösen, er kann zum Beispiel manche abgeschlossene Tür eintreten oder Menschen verscheuchen und in den Wahnsinn treiben. Ich betrachte diese Fähigkeiten des Dämonen als Joker, mit dem man schwere Rätsel lösen kann, und ich denke, man sollte sich erst offenbaren, wenn es zum großen Endkampf mit dem dämonischen Widersacher kommt.

(Die Fähigkeit, die Zukunft anderer zu lesen, hat der Dämon auch in Menschen­gestalt. Dass die Menschen die Erscheinung eines Dämonen nach ein paar Zügen wieder vergessen, ist jedoch nicht sehr glaubwürdig. Ich vermute, es soll vermieden werden, dass das Spiel in eine Sackgasse gerät.)

Ganz als Dämon durchspielen kann man aber nicht, weil man mit den Leuten reden muss. Ich musste lachen, denn die ersten beiden vorgegebenen Stichwörter, die in jeder Konversation angeboten werden, sind „Name“ und „Job“, so wie in den alten Ultimas.

Viele der Konversationen führen dann dazu, dass man andere befragen muss, also quasi von Pontius nach Pilatus geschickt wird.* Besonders arg ist der Wächter vor der Kellertür, der sofort mit dem Hausmädchen durchbrennen würde, wenn der Spieler ihm nur dabei hälfe, einen Verlobungs­ring zu besorgen und ein Gedicht von Heine, das er als eigenes aus­gegeben hat, zu finden. Soviele Ritterbüsten, die dazu mit den Augen rollen müssten, gibt es gar nicht.**

Es gibt aber auch klassische Rätsel, bei denen man Gegenstände manipuliert oder Informationen sammelt. Diese sind nicht sehr schwer, was auch am Interface von Gruescript liegt. Ich habe hier viel stärker als in Beagle’s Rock nur auf die obere rechte Ecke mit der abgespeckten Raum­beschreibung und den Aktionsknöpfen geschaut. Dadurch habe ich einiges versäumt, zum Beispiel, dass sich die Raumbeschreibung im Hauptfenster ändert, wenn ich mich als Dämon offenbart habe. Für den Spielverlauf war das aber nicht wichtig, glaube ich.

Ein Unterschied zu Beagle’s Rock Rock ist, dass ich hier viel mehr hin- und herlaufe und auch noch im Auge behalten muss, wo sich das Hausmädchen gerade befindet. Durch das unüber­sichtliche Interface ist das nicht sehr leicht und so werden eigentlich einfache Rätsel sehr umständlich.

Shub-Jagaroth setzt mehr auf Rätsel als auf Story und ich vermute, es kommt dem, was sich der Entwickler von Gruescript unter einem guten Spiel für sein System vorstellt, recht nahe. Ich finde es daher bemerkens­wert, dass dieses klassische Rätselspiel für mich nicht so gut funktioniert wie das breiter angelegte Beagle’s Rock.***

Dies & das

Zum Schluss noch ein paar Bemerkungen die irgendwie alle Spiele (oder zumindest nicht nur eins) betreffen und daher nicht zu den individuellen Rezensionen passen.

Umschlagillustration

Um Spiele besser zu vermarkten, kann man ihnen eine Illustration beifügen, die dann in Datenbanken angezeigt wird, so als ob Software noch auf eine CD-ROM gebrannt würde, deren Hülle dann ein Cover hat.

Die Beiträge zum Grand Prix werden auch mit Cover dargestellt. Ja, ja, ich weiß, don’t judge a book by its cover und so, aber Titel, Autor und auch die Covergestaltung geben ja einen ersten Eindruck, was einen erwartet.

Das schönste Cover hat Fischstäbchen. Im Hilfetext schreibt der Autor, dass er es Stable Diffusion erstellt hat. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was ich von diesen von einer KI generierten Werken halten soll, auch im Hinblick auf das Urheberrecht, aber das ganz in blau und weinrot gehaltene Bild mit dem van-Gogh-Himmel und den stilisierten Wellen sieht schon sehr gut und auch angemessen „japanisch“ aus.

Für Ich, Shub-Jagaroth hat Heiko Spies den Titel in einer Schmuckschrift mit Farbverlauf über das Foto eines Gebäudes gelegt, eine sehr praktikable Methode, die er auch schon beim Jäger der heiligen Steine angewandt hat. Das Cover von Beagle’s Rock hat eine schöne Bildkomposition, aber der Bildhintergrund ist leider Pixelmatsch*, passt damit aber zu den groben Vignetten der Objekte im Spiel.

Gen Norden hat kein Cover und bekommt als Platz­halter einen etwas nichts­sagenden Screenshot in DOS-Frotz-Ästhetik. Vielleicht lohnt es sich in solchen Fällen, ein minimalistisches Umschlagbild im Stil der Edition Suhrkamp zu erstellen.

Gruescript

Zwei der Beiträge wurden mit Gruescript geschrieben. Dieses System versucht, die Spielerfahrung eines klassischen Parser-Adventures umzusetzen, aber ohne Texteingabe, so dass sich die Spiele gut auf einem mobilen Gerät spielen lassen. Diese Beiträge sind gewiss als Antwort auf eine längere Diskussion im Forum über die Möglichkeiten, Spiele auf Deutsch zu schreiben, entstanden, um eines der dort angesprochenen Systeme einmal auszuprobieren.

Ich finde die Grundidee von Gruescript reizvoll, die tatsächliche Umsetzung der Benutzeroberfläche aber furchtbar. Ich habe dem Thema daher einen eigenen Artikel gewidmet.

Auch wenn mir einiges an den Gruescript-Spielen nicht gefällt, finde ich es gut, dass sie – quasi als Diskussionsbeiträge – eingereicht wurden.

Fortbewegung

Das Spiel mit der besten „Navigation“ im Grand Prix is Gen Norden. Punkt.

Himmelsrichtungen sind unnatürlich, aber wenn man sich durch eine größere Spielwelt bewegen muss, sind sie praktisch, weil man sich – im Kopf oder auf einem Zettel – eine Karte erstellt.

Fischstäbchen hat eine Struktur, die man sich auch dank der Fluchtpläne leicht merken kann, aber weil man die Schiffsrichtungen nicht genauso gut verinnerlicht hat wie die Himmelsrichtungen, verhaspelt man sich beim Herumlaufen.

Gruescript modelliert die Welt nach dem Scott-Adams-Urgestein Pirate Adventure und benutzt daher Himmelsrichtungen. Das Problem liegt hier am Interface: Die Ausgänge stehen hier unter der Raumbeschreibung in einer Zeile. Es werden nur die Knöpfe für die Richtungen angezeigt. Je nachdem, über wieviele Zeilen die Raumbeschreibung geht und welche Ausgänge es gibt, ändert sich also die vertiale und horizontale Position der Schaltfläche für eine Richtung. Dieses Hütchenspiel spielt Gruescript natürlich auch in den anderen Menüs, aber hier ist es besonders ärgerlich, weil man sich nicht einmal eben schnell über die Karte klicken kann.**

In Shub-Jagaroth, das eine kompakte, aber verästelte Spielwelt hat, fand ich das schlimmer als in Beagle’s Rock, das im ersten Teil nur Betreten und Verlassen erlaubt und das im zweiten Teil das Anwesen als ein großes U mit wenigen Seiten­kammern abbildet. (Die Krümmung des U ist die Treppe.)


So, geschafft. Danke fürs Lesen und Durchhalten.