Gedanken zum IF Grand Prix 2022
Nach längerer Zeit gibt es wieder einmal einen
IF Grand Prix, auf den
einige Autoren scheint's gewartet haben: Es gibt sechs Beiträge, die mit
sechs verschiedenen Systemen geschrieben wurden.
Ich gebe zunächst einen kurzen Abriss meiner Bewertungen, bei denen
ich nichts allzu Kompromittierendes über die Spiele preisgebe. Danach möchte
ich die Spiele und die neuen Systeme im Detail betrachten, wobei natürlich
Elemente der Spiele verraten werden.
Fenrir 13
von Marc Biegota (Linux, MacOS, Windows)
⟶
Nach einem Unfall muss der Geologe an Bord eines Raumschiffs Reparaturen
durchführen. Der oft zu einfache Parser aus Eigenbau und viel zu wortreiche
und ungeordnete Texte machen das Abenteuer fast unspielbar: ausreichend.
Phoney Island
von Stefan Hoffmann (Windows)
⟶
Ein Kopfgeldjäger jagt Phoney, ein Abziehbild von Donald Trump, der sich
in eine andere Dimension abgesetzt hat und nun König von Phoney Island ist.
Das Spiel baut mir ein bisschen zu sehr auf platte Trump-Witzchen und auf
Konversationsmenüs. Das grafische Interface ist nicht ganz durchdacht:
ausreichend.
Schief
von Olaf Nowacki (Z-Code)
⟶
Ein Vertreter will der mondänen Baronin einige Versicherungen verkaufen
– oder geht da vielleicht noch mehr? Eine schwungvolle und schön
umgesetzte Slapstick-Miniatur. Slapstick geht leicht schief, in diesem
kurzen Spiel aber nicht: sehr gut.
Die Polarstation
von Jürgen Popp (Commodore 64)
⟶
Nach einen Flugzeugabsturz muss man von einer aufgegebenen Polarstation
aus ein Flugfeld erreichen. Sehr kurzes Spiel mit einfachen Gegenstandsrätseln,
aber ohne arktische Atmosphäre: ausreichend.
Die erste Nacht
von Hannes Schüller (Z-Code)
⟶
Die erste Nacht in der neuen Wohnung und man kann nicht einschlafen.
Die Nacht muss mehrmals durchgespielt werden, um schließlich zu einem guten
Ende zu kommen. Gute Idee, die für mich aber nicht funktioniert hat, weil
ich schon beim regulären Durchlauf gescheitert bin: befriedigend.
Haudrauf-Battlebook
von Dennis Schwender (PDF-Spielbuch)
⟶
Stellvertretend für den Cousin tritt man zum Duell an. Dazu
muss man in den Wohnort des Cousins reisen und unterwegs seine Gesundheit
und Kampfkraft durch Kämpfe mit Schleimblobbs und Kobolden verbessern.
Durch die vielen Kämpfe ist die Buchführung und das Hin- und Herspringen
zwischen den kurzen Abschnitten etwas mühsam: ausreichend.
Die folgenden vielleicht etwas inkohärenten Analysen schauen genauer
auf das, was in den einzelnen Spielen und in den neuen Systemen
funktioniert und was nicht funktioniert. Das bedeutet natürlich:
Spoiler ahoi!
Fenrir 13
Marc Biegota · Linux · MacOS · Windows
Das Spiel ist eine einfache Konsolenanwendung, die unter Windows,
Linux und MacOS läuft und die recht spartanisch ist. Es gibt keine
Statuszeile und noch nicht einmal ein seitenweises Vorblättern mit
einem weiter-Prompt. Man kann natürlich zurückscrollen,
weiß aber nicht immer, wo der oft sehr lange Text begonnen hat.
Und die Texte sind sehr lang. Zu lang. Der Einstiegstext beschreibt
etwas gewollt literarisch,
wie der Spieler aus dem Kälteschlaf aufwacht. Die Beschreibung
des ersten Raumes, der Schlafkammer des Spielers, ist ebenfalls sehr
umfangreich, weil fast alle Details der sehr vielen Gegenstände im Raum
in diese Beschreibung gepackt worden sind.
Das müsste gekürzt und sortiert werden, damit es einen in seiner
Fülle nicht erschlägt. „Sehr funktional und spartanisch“, wie es in
der Beschreibung heißt, ist hier nichts.
Für den Verlauf des Spiels sind der Raumanzug,
die Tür mit dem Display und der Schrank wichtig, für die Story vielleicht
noch der Kryo-Pod. Wozu also die lange Erklärung, dass zwei Stühle
an den Esstisch passen, aber nur einer da ist? Wozu den Fußboden erwähnen
und dass man ihn magnetisieren kann? Wozu den Bürostuhl in der Raumbeschreibung
so detailliert behandeln? Na klar, das Ambiente soll beschrieben werden,
aber vieles von dem, was in der Raumbeschreibung steht, wäre wohl besser
bei den Beschreibungen der einzelnen Objekte aufgehoben. Viele Objekte,
etwa den Teppich, den Essbereich und den Sanitärbereich, könnte man ganz
streichen.
In späteren Raumbeschreibungen werden oft Dinge zweimal erwähnt, einmal
in der Raumbeschreibung selbst, dann noch einmal in vermutlich automatisch
generierten Texten am Ende. Außerdem werden zu oft Aktionen in den
Beschreibungen erwähnt, die meistens nur beim ersten Betreten eines Raums
oder beim ersten Betrachten eines Gegenstands passen:
Den Spiegel schätzt Du so auf 90×120 cm und er ist kristallklar.
Wenn Du längere Zeit eine der Ecken mit Deinen Augen fokussierst, erscheint
ein zusätzliches Display auf der Fläche und präsentiert Dir Deine gängigen
Gesundheitsdaten. Als Du diesmal die Daten checkst, erschrickst Du.
Die letzte Messung ist über 5 Jahre her!
Dass die Gesundheitsdaten eine Auskunft über die Länge des Kälteschlafs
geben ist eine gute Idee, aber man darf natürlich nicht jedes Mal darüber
erschrecken, wenn man in den Spiegel schaut.*
Naja, jedenfalls komme ich sehr lange nicht aus dem ersten Raum heraus.
Mir ist klar, was ich tun muss: Nach dem fünfjährigen Kälteschlaf bin
ich zu schwach, um das Display zu lesen, also muss ich wohl etwas zu essen
oder ein Medikament oder so finden. Also:
u schrank
Genug Platz für alle Dinge, die man während einer Reise in die entlegensten
Winkel der Galaxie so braucht – auch wenn man die meiste Zeit der Reise
schläft.
öffne schrank
Scheinbar lässt sich das nicht öffnen.
schiebe schranktür
Diesen Gegenstand sehe ich hier nicht!
u schranktür
Du öffnest die Schranktür und findest weitere Klamotten.
… und einen Powerriegel mit Schokogeschmack.
Nur, dass ich nicht auf die letzte Eingabe gekommen bin, weil es
„diesen Gegenstand“ ja nicht gibt. Und warum bedeutet untersuche
schranktür, dass ich sie aufmache? Solche vorgreifenden Aktionen gibt
es häufiger:
ziehe anzug an
Nichts passiert!
ziehe anzug
Dasselbe wolltest Du doch gerade schon machen?! Aber bitte…
Nichts passiert!
nimm anzug
Du hast den Bio-Suit genommen.
Du nimmst den Anzug vom Bügel und streifst ihn Dir über. […]
Offenbar wird ziehe an als ziehen interpretiert
und nimm nimmt den Anzug nicht nur, sondern zieht ihn
bereits an. Das ist jetzt nicht besonders schlimm und es gibt ja auch immer
Grenzfälle: bedeutet nimm pille, dass ich die Pille
aufhebe oder dass ich sie schon einnehme? Trotzdem gefällt mir der Ansatz
von Inform besser, vielleicht weil ich ihn gewohnt bin:
nimm bedeutet aufheben. Wenn ich einen Gegenstand
für eine Aktion in der Hand halten muss, wird das Aufheben impliziert:
„Dazu nimmst Du erst den Anzug von der Garderobe.“
Oh, dieser Satz „Dasselbe wolltest Du doch gerade schon machen?!
Aber bitte…“ geht einem schnell auf die Nerven. Der Parser ist nicht
besonders gut, er kann noch nicht einmal Pronomen verstehen.
Aber den Spieler anmotzen, das kann er.
Die Geschichte selbst ist nicht besonders spannend. Es ist eigentlich
immer klar, was man machen soll, da es einem vom Bordsystem genau gesagt
wird. Manchmal muss man improvisieren, weil Gerät nicht verfügbar ist,
aber auch das ist nicht schwer. Die eigentliche Hürde sind der Parser
und gelegentliche Bugs.
Sobald alles repariert ist, ist das Spiel zu Ende. Dass die Situation
dringend oder gefährlich ist, ist nie zu spüren. In manchen Spielen werden
Routineaufgaben als Einstieg in die eigentliche Geschichte – Sabotage!
Aliens!! Meteorgestein mit Bewusstsein!!! – genutzt, aber hier sind sie
die ganze Story.
Das vom Autor entwickelte
C#-Framework,
mit dem Fenrir 13 geschrieben wurde, ist noch in der Entwicklung,
es ist aber schon veröffentlicht worden. Ich habe den Eindruck, dass
Fenrir 13 zum Grad Prix eingereicht wurde, um für dieses Framework
Werbung zu machen. Das Framework bringt aber nichts Neues und das Wenige,
was es kann, können andere Systeme besser.**
Manche Teile der Umsetzung sind auch eigenartig. Es gibt zum Beispiel keine
Serialisierung
des Spielzustands, mit dem man Spielstände verwalten und damit auch
das Rückgängigmachen von Zügen erlauben könnte. Stattdessen erzeugt
save eine Historie der Züge, die man über eine
Option in der Befehlszeile des Systems wieder einlesen kann. Das Mitschreiben
und Abspielen der eingegebenen Befehle gibt es in anderen Systemen auch,
aber es ist für Tests gedacht. Es kann auch Probleme geben, wenn Spielzüge
von zufälligen Ereignissen abhängen.
Insgesamt ein Spiel mit zu viel Text, das mit einem noch nicht
ausgereiften System entwickelt wurde.
Phoney Island
Stefan Hofmann · Windows
Als der Autor im Forum
nach Betatestern gesucht und dabei sein Spiel beschrieben hat, hatte
ich schon so ein Gefühl, dass es eher nichts für mich ist. „Trump ist blöd“
finde ich als Konzept nicht so besonders und Multiple-Choice-Dialoge sind
auch nicht so meins.*
Leider hatte ich mit meinem Gefühl recht. Dabei fängt das
Spiel im Erzählton eines hard-boiled detective („Mein untrüglicher
Instinkt sagte mir, dass ich auf einer verdammt heißen Spur war“) gar
nicht so schlecht an. Der kurze Einstieg führt dann aber schnell in die
Phoney-Dimension und jetzt wird es für meinen Geschmack etwas platt:
König Phoney regiert in einem heruntergekommenen Saal, seine Frau ist eine
Puppe, sein hinterlistiger Großwesir heißt Middlefinger und sein Diener ist
ein stiefelleckender Ghul.
Mir scheint, dass die Rätsel im Umfeld Phoneys auch zunehmend über
Gespräche gelöst werden, aber der Eindruck kann täuschen: Ich bin nämlich
nicht in den Schlosshof gekommen. Man gelangt vom Thronsaal Richtung
Südwesten dorthin und von dort aus weiter zu den anderen Bereichen der Burg.
Das wußte ich aber nicht, denn der einzige Hinweis darauf ist in den
Befehlen im Auswahlfenster links zu finden, das ich aber ausgeblendet hatte,
weil es eigentlich immer nur dieselben, allgemeinen Befehle
(Inventar, Ort, Warten) anzeigt.
Die Himmelsrichtung wird in der
Raumbeschreibung nicht angezeigt und das Objekt „Schlosstor“, durch das
man laut Beschreibung gehen könnte, gibt es nicht.
Ja, das Interface. Mein erster Gedanke, als ich es gesehen habe, war:
Das ist hässlich. Der zweite Gedanke: Das ist
Kirschke 2.0.
Dass das Interface nicht schön ist, liegt natürlich daran, dass
es mit seinen vielen Listen an der Seite und den breiten, hellgrauen
Trennbalken zwischen den Fenstern aussieht wie eine Büro-Anwendung.
Wenn das Spiel beginnt, ist ein dunkles Farbschema eingestellt, so dass
die hellgrauen Rollbalken stark hervortreten. Man kann das natürlich ändern,
aber die Änderungen werden beim Beenden des Programms nicht gespeichert.
Entgegen den Lehren von
Fitts'
Gesetz, das knapp zusammengefasst besagt, dass das ideale Ziel für
Mausklicks entweder groß oder nah ist, werden hier interaktive Elemente über
das gesamte Fenster verteilt: Links ist ein Menü mit Befehlen, die keine
Objekt benötigen, und mit Ausgängen. Rechts ist ein Menü mit den Objekten
im Raum und mit den Objekten, die der Spieler bei sich hat. Wenn man auf
eines dieser Objekte klickt, erscheint unten anstelle der Texteingabe
ein weiteres Menü, in dem Aktionen für dieses Objekt angeboten werden.
Man muss ganz schön Meter machen, wenn man komfortabel mit der Maus spielen
will. (Die Aktionen im Menü sind nummeriert und man kann sie auch über
die Nummern auswählen, aber das ist umständlich, weil die Aktionen
dynamisch sind. Die Optionen „Info“ und „Ende“, die zu jedem
Objekt am Ende des Menüs angeboten werden, haben je nach Anzahl
der Optionen immer verschiedene Nummern.)
Ein Problem mit den Listen ist, dass dort natürlich alles auftauchen
muss und sie deshalb vollgestopft sind mit unwichtigen Objekten, die dann
vielleicht eine Beschreibung haben, mit denen man aber sonst nicht viel machen
kann. In reinen Textadventures gibt es solche Objekte auch. Sie werden in der
Raumbeschreibung erwähnt, sind aber „nicht wichtig“, wenn man etwas Konkretes
damit machen will. Wenn man die Raumbeschreibung noch einmal liest,
blendet man solche Objekte mental aus.
Aber wieso bekommen zum Beispiel die Fenster im ersten Raum einen Hotspot
in der Beschreibung, aber keinen Listeneintrag? Und wieso hat jedes
Objekt in der Liste ein Adjektiv? Erst im vierten Raum gibt es ein
Objekt, das nur „Podest“ heißt. Das Muster Adjektiv Substantiv wirkt
sehr bemüht und macht die Navigation zwischen den vielen Objekten in der
Liste nicht leichter, weil die Namen dadurch so lang werden.
Dann gibt es noch die ganzen Kleinigkeiten, die ein intuitives
Interface ausmachen und die man vermutlich alle kleinteilig implementieren
muss. Ich will zum Beispiel, dass mich die Escape-Taste aus einem Menü
herausbringt, also „Ende“ bedeutet. Ich will, dass die Texteingabe nach
jedem Zug den Fokus erhält, auch wenn der Befehl davor mit der Maus eingegeben
wurde. Ich will, dass der Cursor am Ende statt am Anfang eines Befehls ist,
wenn ich ihn mit der Pfeil-nach-oben-Taste aus der Befehlshistorie hole.
Und wieso kann ich bereits eingegebene Befehle aus der Liste über dem
Eingabefeld nicht durch Klicken in das Feld kopieren und durch Doppelklicken
ausführen?
Die grafische Oberfläche könnte dazu genutzt werden, den Spieler
gültige Befehle endtecken zu lassen: Wenn man sich mit Texadventures nicht
auskennt, baut man sich Befehle aus den Listen zusammen. Später, wenn man
den Dreh raushat, verlässt man sich zunehmend auf das Textinterface. Das
geht hier aber nicht, weil die Befehle in der Infinitivform („den Brief lesen“)
in der grafischen Oberfläche auftauchen, der Parser aber nur die
Imperativform („lies den Brief“) versteht.
Die vielen Konversationen werden natürlich auch durch Menüs gesteuert.
Etwas eigenartig ist, dass ab und zu Objekte auch eine Art Konversationsmenü
haben, das keine typischen Textadventure-Befehle anbietet, sondern feiner
aufgelöste Aktionen. Der Spiegel, durch den man in Phoneys Welt gelangt, ist
so ein Objekt: egal, was man mit dem Spiegel macht, man landet in diesem
Menü, das natürlich da ist, damit man sich in verschiedenen Stufen vortasten
kann: Berühren, Finger hineinstecken, Hand hineinstecken, Hindurchgehen,
aber ich finde die Entscheidung, hier ein Menü zu verwenden, nicht ideal.
(In einem traditionellen Adventure würde man so etwas vielleicht durch
wiederholtes Berühren des Spiegels umsetzen.)
Ich habe nach dem Bewertungszeitraum etwas weiter gespielt
und habe sehr viele weitere Personen getroffen, mit denen man reden kann
beziehungsweise reden muss. Manche Charaktere haben schön schrullige
Eigenheiten, wie der erbsenzählende Kellermeister. Auch die oben
schon erwähnte eigene Realitätsebene habe ich gefunden. Es ist die
Phoneyvision, mit der dem Betrachter die olle Burg in einem
ganz neuen Licht erscheint und die offenbar Bestandteil einiger Rätsel
ist. Ich habe aber nicht viele der Rätsel lösen können.
Nachdem ich das Schlosstor nicht gefunden hatte, habe ich alle
Auswahlfenster wieder aktiviert und meine Spielweise komplett auf
Mausbetrieb umgeschaltet. Man spielt dann natürlich anders. Weil ich
immer zwischen den Listen hin- und hergesprungen bin, habe ich die
Texte nicht mehr richtig gelesen. Zum Beispiel taucht irgendwann beim
Küchenjungen eine Menüoption auf, mit der ich ihn um sein
Vampirgebiss bitten kann. Wo kommt jetzt das Vampirgebiss her?
Es wurde in einem atmosphärischen Text erwähnt, als der Küchenjunge sich
einen seiner Späße erlaubt, und ist natürlich wichtig für ein Rätsel.
Ich habe es aber überlesen.
Das Spiel ist ambitioniert. Der Beitrag zum Grand Prix ist nur
die erste Episode von vieren, aber das Spiel enthält Inhalte aller
Episoden. (Das hat mir ein Textdump der Library offenbart.) Ich kann
mir vorstellen, dass dem Autor ein wilder Ritt durch eine riesige
abgedrehte Rätsellandschaft wie bei Monkey Island vorschwebt, aber
als Textspiel umgesetzt. So etwas könnte gelingen, aber dazu müsste
die Objektdichte stark reduziert werden, damit sich der Spieler aufs
Wesentliche konzentrieren kann.
Das Interface von Phoney Island ist zu komplex und lenkt zu
sehr vom Spiel ab. Wenn man Textspiele durch eine Mausbedienung leichter
zugänglich machen will, muss man sie vermutlich von Grund auf dafür
entwickeln und die Komplexität aus der modellierten Spielwelt
herausnehmen.
Aber Phoney Island hat mit dem Interface einmal etwas Neues
versucht. (Einige Dinge, wie etwa die Eingabe-Aufzeichnung, die als Undo
und als abgespeicherter Spielstand dient, habe ich mir noch gar nicht genau
angeschaut.) Das finde ich gut, auch wenn mir das Ergebnis nicht so gut
gefallen hat.
Schief
Olaf Nowacki · Z-Code
Das hat Schwung! Schon die Einleitung macht Laune.
Das ganze Spiel spielt sich nur in einem Raum ab, während man
darauf wartet, zur Baronin vorgelassen zu werden. Man gibt sich verschiedenen
Tagträumereien über die Baronin hin, die durch das Betrachten von Gegenständen
ausgelöst werden, und stolpert durch ein Chaos, das man mit seiner
Zwangsvorstellung verursacht hat.
Viel zu analysieren gibt es hier nicht. Die Rätsel sind natürlich
die recht offensichtlichen Versuche, die Unordnung zu beheben, die
sie aber immer noch schlimmer machen. Das Ganze ist gut in Szene gesetzt,
die Texte sind launig und und so slapstickt man sich zu einem guten
oder einem noch besseren Ende. (Ein langweiliges Ende erreicht man, wenn
man sich partout nicht dazu hinreißen lassen will, das Bild gerade zu
rücken, wozu einen das Spiel aber mit seinen Texten, seinem Titel und
seinem Umschlagbild geradezu drängt.)
Das Medium Textadventure wird gut genutzt. Schwierigkeiten mit dem
Parser hatte ich nicht und die Beschreibungen sind angenehm frei von
„(darin dies)“ und „(darauf jenes)“. Schief hat aber diese
irritierende Inform-Macke, dass immer die Raumbeschreibung kommt, wenn
ich vom Sofa steige, als ob ich in einer vollkommen neuen Situation wäre.
Eine schöne Miniatur, die zeigt, was möglich ist.
Die Polarstation
Jürgen Popp · Commodore 64
Jürgen Popp?
Jürgen
Poppe, den Entwickler eines Entwicklungssystems für Textadventures kenne
ich. Im Stil ist Die Polarstation dem Demo-Adventure für dieses
System, Planet, nicht unähnlich. Hm.
Nun also ein Textadventure für den C64. Die Texte werden in
verschiedenen Farben präsentiert und Gegenstände im Raum, Gegenstände, die
ich bei mir habe, und mögliche Ausgänge werden aufgelistet. Einen Text, in dem
der Raum und seine Objekte beschrieben werden, also eine „richtige“
Raumbeschreibung, gibt es aber auch.
Nach einem Flugzeugabsturz landet man mit dem Fallschirm ein paar
Kilometer westlich der aufgegebenen Polarstation Liberty.
Die Ausrüstung ist im Flugzeug geblieben und man besitzt nur noch
die Sachen, die man am Leib hat.
Was nun? gehe nach sueden
In diese Richtung fuehrt kein Weg,
Naja, auch wenn die Station im Westen liegt, führt ja gewiss kein Weg
dorthin. Wenn man aber nach Westen geht, ist man sofort ohne Umstände
an der Station, so als ob man von der Küche ins Wohnzimmer gegangen wäre.
„Überall ist Eis und Schnee“, heißt es zwar und „Es ist bitterkalt“, aber
für den Spieler hat das keine Auswirkungen. Ich glaube ja nicht, dass
es so einfach ist, ohne Ausrüstung ein paar Kilometer im arktischen Eis
zu laufen.
Auch die Atmosphäre der verlassenen Station wird nicht eingefangen.
Man findet aber einen eingesperrten Hund, den man befreien und mit
Futter zutraulich machen muss. Dieser Hund folgt mir dann, aber eigentlich
benötige ich ihn als Rätselobjekt für den Hundeschlitten. Am Ende des Spiels
gibt es aber noch einen emotionalen Höhepunkt: „Du hast einen Freund fuers Leben
gefunden.“
Laut Begleittext kann der Parser Sätze wie „gehe nach Norden und nimm
Lampe, Karte und Fahne“ verstehen. Ich habe das nicht benötigt, weil
das Spiel so kurz ist und es zum Glück nicht viele Gegenstände zu
jonglieren gibt. (Die Rätsel sind sehr offensichtliche Gegenstandsrätsel.)
Was der Parser aber nicht versteht, ist „mache Lampe an.“
Stattdessen wird die Lampe, wenn man sie braucht, automatisch verwendet.
(Pronomen werden auch nicht verstanden. Vierzig Jahre nach Zork können
drei von den fünf Spielen mit Parser im Wettbewerb nicht mit Pronomen
umgehen.)
Letzlich ist Die Polarstation ein etwas belangloses Spiel,
das ich schnell abgehakt habe.
Die erste Nacht
Hannes Schüller · Z-Code
In diesem kurzen Spiel muss man die erste Nacht in der neuen Wohnung
einmal durchleben, bis man sie zu einem guten, aber nicht optimalen Ende
bringt. Dann kann man sie wieder durchleben, um an das optimale Ende
zu gelangen. Das, so glaube ich zumindest, ist die Idee des Spiels.
Allerdings bin ich schon beim ersten Durchspielen gescheitert.
Die Freundin liegt schon im Bett und ich selbst kann nicht schlafen.
Um sieben Uhr wird der Wecker kingeln, weil ich zur Arbeit muss.
Der Grund, warum ich nicht schlafen kann, ist, dass ich noch zu
aufgeregt bin. Es gibt in der Wohnung mehrere Dinge, die ich tun kann,
um zur Ruhe zu kommen. Danach kann ich zumindest ein bisschen
schlafen, bis ich durch ein Geräusch gestört werde.
Ich brauche vier Beruhigungsmethoden, aber die vierte habe
ich erst spät gefunden.
Ich dachte zunächst, dass man die Haarklammer aus den Haaren
nehmen muss. Die Beruhigungsmethode ist aber, meine schlafende
Freundin Laura anzuschauen. (Was man mit der Haarklammer macht,
habe ich auch nicht sofort begriffen. Ich werde alt.)
Hier sehe ich zwei Probleme: Die Aktionen bringen nur beim
ersten Mal eine Beruhigung. Dass man sich beruhigt wird einem
mehr oder weniger deutlich gesagt, nur wenn ich Laura betrachte
nicht. Und man kann diese Aktionen verschwenden: Wenn ich alle
Aktionen durchführe und dann schlafe, habe ich diese Aktionen
verbraucht und kann mich nicht mehr beruhigen.
(Man kann natürlich auch warten, ohne zu schlafen. Die Antwort
auf warte ist: „Eine weitere Minute, die du
schlafen solltest, verschwendet“, was ganz gut passt. Man kann aber
auch eine stunde warten oder bis
4 uhr warten. Das habe ich erst spät herausgefunden, denn
dass man einfach eine lange Zeit durch Warten überbrücken kann,
deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen beim Wachliegen.)
Ich hatte noch keine Nacht durchgemacht und daher auch noch
kein Ende erreicht, das mich auf einen besseren Verlauf der Nacht
hingewiesen hätte, als ich schon das Gimmick unter dem Bett gefunden
habe. Deshalb habe ich das Spiel wohl nicht so gespielt, wie es
der Autor vorgesehen hat.
Wenn man einfach so bis zum Morgen durchspielt, bekommt man
am Spielende den Hinweis „Die Welt ist verloren.“ Man kann die
Welt retten, indem man einer der nächtlichen Störungen auf den Grund
geht und das, was man sieht, unterbindet. Dazu löst man eine im
Gegensatz zum einfachen Durchschlafen komplexe mehrstufige Aufgabe.
Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass das, was man dann verhindert,
dazu führen würde, dass die Welt verloren ist, und finde dass sich der
Spieler bei der
brachialen Lösung ganz schön selbst ermächtigt. Ich fühle mich wie
ein Psychopath und werde mir selbst etwas unheimlich. (Gut, dass
ich das Messer in der Küche nicht mitnehmen darf. Wer weiß, was
sonst noch passieren würde …)
Es gibt neun durchnummerierte Enden. Das Nummerieren
scheint eine neue Mode zu sein. Hannes’ Geschichte des Herrn P.
und Markus Witzmanns Ein später Besuch machen das. Soll damit
bewirkt werden, dass ich versuche, alle Enden zu sammeln wie
Panini-Bildchen? Eigentlch gibt es vier mehr oder weniger gute Enden,
die sich aus der Kombination von „ich bin müde / ausgeschlafen“ und
„die Welt ist verloren / gerettet“ ergeben. Alles andere sind erfolglose
Enden, die es sich nicht lohnt zu erreichen.
Hannes ist ein erfahrener Autor, das merkt man.
Die Texte sind knapp und funktionieren bis auf einige Ausnahmen
ganz gut. (Der letze Satz der Einleitung zum Beispiel ist schief und
wäre als zwei Sätze wohl verständlicher.) Um die eh schon kurzen
Raumbeschreibungen nicht aufzublähen, wurden die Ausgänge in den
gesonderten Befehl ausgänge ausgelagert, den ich
natürlich auch zu spät entdeckt hatte. Weil die Wohnung aber klein
ist und die Ausgänge auch anstelle von „Dort ist kein Ausgang“ kommen,
habe ich mich auch so zurechtgefunden.
(Im Vergleich dazu sind die langen Beschreibungstexte von Fenrir 13
und teilweise auch die von Phoney Island ineffektiv, geradezu
dysfunktional. Das liegt nicht nur an den Texten selbst, sondern auch an
der unterschiedlichen Detailtiefe der Implementierungen: Elliptisch und
auf das Wesentliche beschränkt hier, überfrachtet und wegen der flachen
Objekthierarchie ungeordnet dort.)
Einige technische Dinge, die vermutlich dem Weltmodell von
Inform geschuldet sind, haben mich trotzdem gestört:
Schlafzimmer
Dies ist der einzige Raum, den ihr von Umzugskisten frei
gehalten habt. So habt ihr immerhin einen Rückzugsraum
zum Ausruhen. Apropos ausruhen: Der auf dem Nachttisch
neben dem Bett stehende Wecker droht bereits streng!
Du siehst hier außerdem einen Kleiderschrank (der
geschlossen ist).
lege dich ins bett
Du legst dich auf das Bett.
Auf dem Bett siehst du Laura, einen Schlafanzug, eine
Bettdecke und ein Kopfkissen.
Wieso wird Laura, die sich schon schlafen gelegt hat, nicht
in der Raumbeschreibung erwähnt? Dass Personen mit anderen
Gegenständen zusammen aufgelistet werden, ist ein
„Informismus“, der mir nicht gefällt, genau wie die Anmerkungen
in Klammern, die die Implementierung zu sehr durchscheinen
lassen. Dass ein Schrank geschlossen ist, ist wohl der
Normalzustand und daher nicht erwähnenswert, zumal es hier
im Schrank nichts Wichtiges gibt.
Ich habe hier zu lange gebraucht, um weiterzukommen.
Das vermutlich ideale Ende (9/9) finde ich etwas creepy.
Haudrauf-
Battlebook
Dennis Schwender · PDF-Spielbuch
Das Battlebook ist eine Mischung aus Abenteuerbuch und Rollenspiel:
Man muss im PDF-Dokument zwischen nummerierten Abschnitten springen
und dabei einige Attribute, allesamt Zahlen, verwalten.
Das ist eine sehr einfache Technik, für die man, wenn man das Dokument
ausgedruckt hat, noch nicht einmal einen Computer braucht. Das habe
ich nicht gemacht, sondern das PDF am Bildschirm gelesen und die
Buchhaltung der Attribute auf einem Zettel gemacht. (Das mit dem Zettel
war ein Fehler, weil gerade die Attribute Gesundheit und
Groschen oft geändert werden müssen – ich hätte einen
Texteditor verwenden sollen.)
Über vier Tage – die verstrichene Zeit ist eines der Attribute –
muss man mit Kämpfen im Schleimwald und in den Koboldhügeln seine
Ausrüstung verbessern, um schließlich in einem Duell, in dem man
seinen Cousin vertritt, gegen den Ritter Sir Ferdiklaus anzutreten.
Der Ton ist recht locker und ich finde das Battlebook eine
gute Idee, aber ich werde nicht warm damit. Zum einen werden die
wiederholten Kämpfe gegen die Blobbs und die Kobolde schnell eintönig,
zum anderen komme ich beim Springen zwischen den eher kurzen Abschnitten
im Text oft durcheinander.
Vielleicht wäre es sinnvoll, das Buch auf die nächste technische
Stufe zu bringen. Das könnten Sprungmarken im PDF-Dokument sein, eine
dynamische HTML-Seite oder eine Umsetzung mit einem schon existierenden
System. Wenn man nicht mehr selbst buchhalten muss, sind die Kämpfe
gewiss flüssiger, aber vielleicht führt das nur dazu, dass man die
Blobbs und Kobolde gedankenlos „weggrindet“.
Das Battlebook ist keine schlechte Idee, aber mir hat
das Spielen keinen großen Spaß gemacht.