Das Deformuseum

Im Deformuseum hat Florian Kalenda Gemälde bekannter und unbekannter Künstler ausgestellt. Hier meine Eindrücke:

[Achtung: Das Deformuseum liegt nur einige Kilobytes entfernt, der Eintritt ist frei. Wer die Bilder selbst erst unvoreingenommen erleben möchte, bevor er meine Eindrücke liest, sollte das tun. Es lohnt sich.]

* * *

Ohne Titel

Christian Blümke

Visuell hat dieses Werk eher wenig zu bieten – streng geometrisch angeordnete Streifen auf einem einfarbigen Hintergrund. Und eine Prilblume als Anziehungspunkt. Position, Abmaße, Textur und Farbe der Flächen sind genau beschrieben und lassen dem Betrachter keinen Spielraum für Interpretationen.

Der Künstler hat sich allerdings nicht nur auf das reine Betrachten beschränkt. Das Bild kann mit anderen Sinnen erkundet werden. Wer sich nicht zu schade ist, das Bild darüber hinaus zu manipulieren, erfährt den Hintergrund der Motivwahl.

Ein schönes Objekt für ein Puzzle-Textadventure, im Museum wirkt es etwas fehl am Platz. Im Gegensatz zu den anderen Bildern muss es zerstört werden, damit wirklich jedes Detail wie vom Künstler vorgesehen erkannt werden kann. Was machen da die Besucher, die später kommen?

Encounter Off Plymouth Sands

Roman Thime (M. Oehm)

Schönes Bild. Von mir gestiftet. :-)

Der Fisch

I. F. Picasso (F. Kalenda)

Wie stellt man die zerrissenen, abstrakten Bilder Pablo Picassos als Text dar? Der Künster versucht es hier mit kurzen, abgehackten Sätzen, selten länger als eine Zeile. Die Analogie gelingt, zumindest am Anfang. Der Stil Picassos ist bekannt, und durch die spärlichen Informationen im Text kann man sich die Objekte im Bild in seiner eigenen Interpretation von Picasso gut vorstellen.

Nachdem man alles untersucht hat, wiederholen sich die Sätze, man bewegt sich im Kreis und der zunächst frische Effekt verblasst, stärker als es bei anderen, genauer beschriebenen Bildern der Fall wäre.

Frau im Weiß

Piedro Gonzales (C. Menear)

Ein sehr helles Bild. Im Gegensatz zu seinem Grand-Prix-Beitrag Bananenrepublik hat sich der Autor hier nicht in technischen Finessen verzettelt, sondern sich hauptsächlich auf die Beschreibung der Objekte konzentriert. Abgesehen von einigen Passagen, in denen sich der Autor in komplexen Konstruktionen versteigt, sind diese gelungen.

Der Granitwürfel und die Sonnenbrille stören mich etwas, wahrscheinlich weil ich sie mir als dunkle Flecken im ansonsten hellen Bild vorstelle. (Der Granit wird nie explizit als dunkel beschrieben, könnte also auch hellgrau sein. Ich stelle ihn mir sehr dunkel und nur schlecht mit dem warmen Terrakottaton harmonierend vor.)

Ach ja: Das Messingschild sollte nicht nur als Box implementiert werden. Irgendwie wirkt es abgehackt, wenn nach dem Prompt kein Text folgt.

L’Annunciazione

I. F. Lippi (F. Kalenda)

Das typische Bild in Textadventures und auch hier im Museum gibt zunächst einen Überblick, von dem aus weitere Details zugänglich sind, die untereinander und mit weiteren Details einer dritten Ebene verknüpft sind. Diese Methode hat eine Baumstruktur.

Anders hier: Die Beschreibung des Bildes beginnt bei einem Detail, dann geht es in einer eher linearen Struktur weiter. In jeder Stufe wird der Abstand zum Bild größer, und schließlich, im letzten Schritt, ist das ganze Bild beschrieben. (Ähnlich wie bei Dalli-Klick.) Wer den Zusammenhang im Bild auch ohne die Beschreibungen (und den Irrweg über den Boten Hermes) erfasst, kann dabei einige Stufen überspringen.

[1] Dazu kommt, dass die Pronomen der (technisch) noch unbekannten Objekte nicht gesetzt sind: Die erste Beschreibung bezeichnet die Hauptperson im Bild nur als »sie«, wenn man dieses Pronomen aber verwendet, bezieht es sich auf eine eigenartiges scenery-Objekt. Natürlich kommt man mit »Frau« oder »Mädchen« weiter – und zu verschiedenen Beschreibungen.

Ein interessantes Konzept, allerdings technisch etwas riskant. Bei den Beschreibungen werden viele Details erwähnt, die nicht implementiert sind, die Identität der Hauptobjekte bleibt ungenau und man muss man etwas raten, welches Objekt man weiter betrachten kann [1]. Das gehört natürlich zum Stil des Bilds, das vom Betrachter an einigen Stellen Wissen verlangt, das er nicht aus dem Bild selbst hat.

Aquarellierte Zeichnung

Felix Mendelssohn Bartholdy (C. Winkler)

Eine Stadt im Winter, Anfang des 19. Jahrhunderts, mit Häusern, einem Park, einem Fluss. Und einer Kirche, der eine besondere Rolle zukommt: Wer sie betrachtet, erkennt sie und identifiziert damit die Stadt als Leipzig. Danach ändert sich die Sichtweise des Betrachters und durch die Ortskenntnis des Spielers sind mehr Unterobjekte zugänglich. Das ist ein schöner Effekt, wenn man die Kirche nicht gleich am Anfang untersucht. (Die Kirche wird in der Liste der Details als Letztes erwähnt. Trotzdem habe ich sie recht früh angeschaut.)

[2] Gerade in einem Projekt wie diesem, wo der einzelne Künstler nicht weiß, wer genau der Protagonist ist, ist es natürlich schwierig, festzulegen, was der Spieler weiß und was nicht. Insofern sind die Bilder Mendelssohns und Lippis Gegensätze: In einem wird dem Protagonisten einfach Wissen unsterstellt, das der Spieler (an der Tastatur) unter Umständen gar nicht hat, im anderen wird Wissen beim Spieler (um die Verkündigung) vorausgesetzt – erkennt der Spieler die Szene nicht, kann der Protagonist auch nichts damit anfangen.

Ich kenne Leipzig und die Thomaskirche nicht. Dennoch kann ich mir ein Bild machen, da der Spieler mir die Gebäude beschreibt und mir sogar Hintergrundinformationen bietet [2].

Ohne Titel

Ralf Herrmann

Die Radierung überwältigt mich beim Betrachten mit einem langen Text, der im DOS-Frotz sicherlich zwei Seiten lang ist, und der das gesamte Bild beschreibt; sehr genau beschreibt. Die Texte zu den Unterobjekten sind noch einmal genauer, lassen aber keine neuen Details entdecken, die nicht schon in der Hauptbeschreibung erwähnt wären.

Die Lage der zahlreichen Personen zueinander ist exakt beschrieben, auch ihre Position im Bild. Angaben wie »im linken vorderen Drittel« und »obere rechte Hälfte« haben mich etwas irritiert. (Ich würde »oberes rechtes Viertel« sagen.) Trotzdem fällt es mir schwer, mir das Bild vorzustellen, wohl wegen der vielen abgebildeten Personen.

Das Nibelungenlied kenne ich, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich und konnte trotz des Verses die Personen nicht zuordnen, was oft zu Disambiguisierungen zwischen den »Recken« geführt hat.

L’ange gourmand

Sophie Frühling

Die Künstlerin hat für ihr Werk die Form der Collage ausgewählt. So kann sie viele verschiedene Dinge unterbringen und ist auch nicht an das reine Anschauen gebunden – die Elemente der Collage lassen sich anfassen und teilweise auch manipulieren. Die Beschreibungen sind manchmal etwas flapsig und immer selbstironisch, so als ob die ganze Collage nichts als ein einziger Jux ist.

Ein Problem bei diesem Werk ist, dass in der Hauptbeschreibung das Augenmerk auf ein Detail der Collage gelenkt wird. Das ist keine schlechte Idee, denn einem wirklichen Betrachter ginge es wohl auch so, dass ihm aus dem Wust an Dingen eines ins Auge sticht. Außerdem wird so vermieden, dass die Beschreibung nur eine Aufzählung ist, denn anders als bei den Bildern, die eine bestimmte Szene darstellen, gibt es keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Details. Welches der sechs Details genannt wird, wird allerdings zufällig bestimmt. Auf diese Weise ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Details wiederholen, bevor dem Betrachter alle bekannt sind [3].

[3] Nach zwölfmaligem Untersuchen des Bilds ist die Wahrscheinlichkeit, eines der sechs Details zu verpassen, höher als 50%, nämlich 56,2%. Sogar die Wahrscheinlichkeit, dass zwei beliebige Details nach zwölf »u Collage« noch nicht erwähnt wurden, ist mit 10,6% recht hoch.

Der Schlafende im Tale

I. F. Rimbaud (F. Kalenda)

Dieses Bild ist in gewisser Weise die Umkehrung des Picasso-Prinzips: Anstatt einen bekannten Malstil in Texte zu übertragen wird hier versucht, ein Bild durch einen Schreibstil darzustellen. Das wird schon dadurch klar, dass der Künstler hier den Dichter Rimbaud für sein Pseudonym benutzt.

Wie genau die einzelnen Details des Bild aussehen, bleibt unklar, beziehungsweise dem Betrachter überlassen. Dort schäumen dann Täler im Lichte und Flüsse singen. Schreibt so Rimbaud? Vermutlich, ich kenne seine Werke nicht. Ein interessantes Experiment, das aber – wie Rimbaud? – nicht jedermanns Sache ist.

Flugschrift

Johann Negele (M. Kalus)

Der Historiker Max Kalus hat dieses vermutlich authentische Dokument ausgestellt.

Und er hat es schon wieder getan. Wie schon bei den Büchern im Kopialbuch druckt Max hier den gesamten Text in der Originalschreibweise ab, hier sind es etwa siebzig Zeilen. Für einen Historiker mag es sicherlich interessant sein, die Quelle genau zu erfassen, für den Betrachter im Museum eher nicht. Die in Reimform gehaltene Schilderung der Anklage liest sich zwar leichter als die Bleiwüste im Kopialbuch, aber die kurze Strophe des Nibelungenlieds in Ralf Herrmanns Bild passt besser in das Medium Textadventure als beide.

[4] Ich hatte allerdings zuerst die »Szene« untersucht, die sich nur auf die Darstellung der Hinrichtung bezieht, und so ohne es zu wissen, eine Ebene übersprungen. Im »Bild« gibt es noch mehr zu sehen.

Das Bild in der Mitte zeigt mehrere Szenen, hauptsächlich eine Hinrichtung. Dabei sind nur einige Details als Unterobjekte implementiert. Für alle anderen erhalte ich die Beschreibung der gesamten Szene, und jedesmal läuft mir dabei »unwillkürlich ein Schauer über den Rücken« [4]. Die Szenen sind knapp beschrieben, und man kann sie sich als Kupferstich gut vorstellen.

Das Deformuseum

Florian Kalenda

Erwähnen möchte ich auch den Rahmen für die Ausstellung, das neu eröffnete Deformuseum in der alten Villa Nelson. Das Museum selbst ist klar gegliedert, und es bietet sogar einen Rundgang an, in dem man »weiter« und »rückwärts« gehen kann, so dass man kein Bild verpasst.

Der Spieler ist allerdings keineswegs ein namenloser Besucher, oder etwa er selbst, sondern ein Kunststudent. Da die Künstler ihre Werke aber gestaltet haben, ohne den Protagonisten zu kennen, wäre hier vielleicht eine Spielfigur, der sich selbst (das heißt den Spieler am Bildschirm) spielt, besser gewesen, vor allem im Hinblick auf die Bilder, die Wissen verlangen oder dem Spieler explizit zuschreiben.

Und dass die Identifikation mit dem Kunststudenten nicht gegeben ist, lässt sich leicht feststellen: Niemand hat noch am selben Nachmittag einen Artikel über das Muesum geschrieben.

Dazu kommt, dass die Pronomen der (technisch) noch unbekannten Objekte nicht gesetzt sind: Die erste Beschreibung bezeichnet die Hauptperson im Bild nur als »sie«, wenn man dieses Pronomen aber verwendet, bezieht es sich auf eine eigenartiges scenery-Objekt. Natürlich kommt man mit »Frau« oder »Mädchen« weiter – und zu verschiedenen Beschreibungen.

Gerade in einem Projekt wie diesem, wo der einzelne Künstler nicht weiß, wer genau der Protagonist ist, ist es natürlich schwierig, festzulegen, was der Spieler weiß und was nicht. Insofern sind die Bilder Mendelssohns und Lippis Gegensätze: In einem wird dem Protagonisten einfach Wissen unsterstellt, das der Spieler (an der Tastatur) unter Umständen gar nicht hat, im anderen wird Wissen beim Spieler (um die Verkündigung) vorausgesetzt – erkennt der Spieler die Szene nicht, kann der Protagonist auch nichts damit anfangen.

Nach zwölfmaligem Untersuchen des Bilds ist die Wahrscheinlichkeit, eines der sechs Details zu verpassen, höher als 50%, nämlich 56,2%. Sogar die Wahrscheinlichkeit, dass zwei beliebige Details nach zwölf »u Collage« noch nicht erwähnt wurden, ist mit 10,6% recht hoch.

Ich hatte allerdings zuerst die »Szene« untersucht, die sich nur auf die Darstellung der Hinrichtung bezieht, und so ohne es zu wissen, eine Ebene übersprungen. Im »Bild« gibt es noch mehr zu sehen.