Grand Prix 2004: Rezensionen

Beim diesjährigen Grand Prix von textfire.de gab es zehn Beiträge, darunter viele schlechte und mittelmäßige. Hier die Kritik im einzelnen:

[Achtung: Die Kritiken setzen die Kenntnis der Spiele voraus, wer ein Spiel nicht kennt und sich nicht von vorneherein den Spaß verderben will, spielt erst und liest dann.]

Allkrieg

von Maik Beta

Ein schneller, wenngleich etwas verwirrender Einstieg: Bevor der Spieler überhaupt weiß wer er ist und was er soll, kommt ein Marsmännchen und stiehlt seine Comic-Sammlung, darunter auch das Werk, das dem Spiel seinen etwas holperigen Titel gibt, und rennt weg. Was nun, hinterherlaufen oder erst einmal mehr über den Protagonisten herausfinden? Ein »u mich« ergibt, dass ich kein Comic-Sammler, sondern ein Zeichner bin, und nachdem ich hinter dem Männchen herrenne, werde ich in meine eigene Geschichte hineingezogen.

Das sympathische Setting hat Potenzial, das aber nicht ausgenutzt wird. Nachdem ich dem Männchen auf einen anderen Planeten gefolgt bin, muss ich genau ein Rätsel (mit drei Unterrätseln) lösen, das zudem recht einfach ist. Nach länglichen Dialogen mit den Baldasanern, nach einigen witzigen Momenten und nachdem ich viel zu oft die Leertaste drücken musste – ein Relikt aus der QBasic-Vergangenheit des Autors – ist das Spiel schnell bis zum etwas abstrusen Finale auf der Erde durchgespielt.

Note: ausreichend

Die Dichter und der Henker

von Florian Edlbauer

Eine Hangman-Variante, in der Titel deutscher Dramen zur Goethe-Zeit erraten werden müssen, die Lösung wird mit Punkten und Zusatzinformationen zum jeweiligen Drama in »Wussten Sie schon?«-Manier belohnt. Für kurze Zeit unterhaltsam, sprachlich und technisch einwandfrei – aber kein Textadventure, auch wenn uns eine etwas lange Einleitung dieses Spiel als eins verkaufen möchte. Thema verfehlt!

Note: mangelhaft

Download

von Oliver Berse

Ein Thriller aus der Welt des Cyberspace mit einer etwas unglaubwürdigen Prämisse: Der Spieler lädt sich einen Film aus dem Netz, der nicht das ist, was er scheint. Bald darauf stehen Killer vor der Tür, die den Download getrackt haben, und dann heißt es schnell fliehen – oder sich verstecken.

Die zeitlichen Abläufe sind nicht ganz klar. Was weiß der Spieler, was nicht? Muss man das Video anschauen, den Anruf engegennehmen, das e-Mail lesen? Und was weiß der Spieler nur aus vorherigen Durchgängen des Spiels? Das Anschauen des Videos dauert fünfunddreißig Minuten, kann aber trotzdem zwischen zwei Klingeltönen des Telefons passieren. Viele Gegenstände, die man gerne zur Flucht benutzen würde, sind nicht oder nur ungenügend implementiert: ein Bettlaken, die Küchenzeile. Der Schuhschrank der Nachbarin, der praktischerweise auf dem Flur steht, ist vorhanden. Aber was ist mit der Nachbarswohnung? Hat der Spieler keinen eigenen Schrank? Was ist unter dem Bett?

Technisch und sprachlich sicher, wenngleich nicht überragend. Der Parser gibt manchmal wenig hilfreiche Antworten, einige Verben wie zum Beispiel »werfen« werden nicht verstanden. Die neuen Richtungen links und rechts sind ein wenig umständlich. Wenn man vor seiner Wohnung im Flur steht, bedeutet »rein« nicht »betrete die Wohnung«, sondern »klettere in den Schuhschrank«. Das ist kein Parser-, sondern ein Design-Fehler, die Musterlösung will es explizit so. Ach ja, Musterlösung: Diese gibt ja nur den Weg zum zweitbesten Ende an. Ein besseres habe ich leider trotz mehrmaligem Durchspielen noch nicht gefunden. Die anderen Enden sind sehr knapp, der Perspektivwechsel beim bösen Ende ist eine gute Idee, wird aber nicht ganz deutlich, vor allem, weil nicht einmal angedeutet wird, was mit dem Spieler passiert.

Note: befriedigend

Die 5. Kammer

von Tobias Heinzen

Abstrakte Kerker-Szenarien sind scheint’s sehr beliebt unter Textadventure-Debütanten. Hier scheint es uns ein Autor aber sehr leicht machen zu wollen: Im ersten Raum versperrt uns eine abgeschlossene Holztür den Ausgang, praktischerweise hat diese ein großes Schlüsselloch und einen Spalt an der Schwelle. Für Spieler, die diesem seit Kalle Blomquist etwas abgelutschten Rätsel nichts abgewinnen können, steht auch noch eine Feueraxt zur Verfügung. Aber – schlage Tür mit Axt ein, schaue durchs Schlüsselloch, lege Zeitung unter Tür, nichts von alldem funktioniert, denn der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem dummen Spieler das Leben zu erleichtern und das verpönte »benutzen« eingeführt. Also: »benutze Axt mit Tür«. Dabei sind die anderen Verben immer noch vorhanden, die oben genannten Eingaben verursachen keine Fehlermeldungen, sondern bescheren dem Benutzer dieses Spiels die Standardantworten der Lib.

Dieses Spiel ist schlampig implementiert: Es gibt Dinge, deren Existenz man nicht aus der Raumbeschreibung, sondern aus der Musterlösung erfährt. Das Betreten einer Tür im zweiten Raum erzeugt einen ganzen Schwall von Programming Errors, viele beschriebene Gegenstände sind nicht implementiert und schließlich ist die ganze Story der fünften Kammer sehr wirr und selbst nach Lesen der Musterlösung nicht nachvollziehbar.

Ein unfreiwilliges Gimmick ist der eingschaltete Debug-Modus, der Einblick in die Tiefen der Programmierung des Spiels erlaubt. Wer will, probiert einmal »showverb benutze«.

Note: ungenügend

Im Labyrinth

von Jonas Engels

Das erste Wort ist falsch geschrieben, der Text an den linken Rand geklatscht, kein guter Einstieg für den Textadventure- und T.A.G.-Neuling. Im ersten Raum gibt es einen Hebel, der sich nicht ziehen lässt, und dies mit einem Standardtext kundtut. Später stellt sich heraus, dass ich diesen Hebel doch ziehen kann, er öffnet eine Tür. Praktischerweise kann ich aber auch durch die geschlossene Tür laufen. Im Labyrinth erwarten mich wild zusammengewürfelte Gegenstände, jeder die Lösung zu einem Puzzle, und weitere, immer abstraktere Räume. Es gibt keine Spielmotivation, das Spiel ist unsauber implementiert und strotzt vor logischen (und orthographischen) Fehlern. Schade nur, dass ich das in der Musterlösung angedeutete Geheimnis nicht gefunden habe, dann hätte es nämlich mehr Punkte gegeben, und zwar »en massé«.

Note: mangelhaft

Jazz auf Tegemis

von Jörg Rosenbauer

Ein schöner Titel, und auch ein schöner Einstieg: Als Kapitän eines Raumfrachters auf Landgang auf einem unbekannten Planeten fängt man in einer Jazz-Kneipe an, in der reges Treiben herrscht. Es gibt in zwei Räumen (und den Toiletten) viel zu erkunden, und der erste Teil des Spiels, ein Tête-à-Tête mit der Jazz-Sängerin, wird durch gutes Beobachten in gut entwickelten zeitabhängigen Puzzles gelöst. Danach gibt es eine kleine Wende in der Geschichte, aber die Handlungsfreiheit und Atmosphäre der Anfangsszene wird im Schlussteil nicht mehr erreicht, auch das letzte Puzzle ist eher schwach – von den vielen Gegenständen, die man zur Verfügung hat, lassen sich nur die anwenden, die der Autor dazu vorgesehen hat, obwohl man mehrere sinnvoll benutzen könnte.

Alles in allem unterhaltsam und weitestgehend technisch sauber, im letzten Teil gibt es aber einige Flüchtigkeitsfehler. So bekommt zum Beispiel Lady Sarina, die Jazz-Sängerin, in der Raumbeschreibung keinen eigenen Absatz, so dass sie zwischen dem Gerümpel aufgeführt wird. Außerdem leidet der Lesefluss an der für Inform-Spiele typischen fehlenden Absatzgliederung.

Note: gut

Reunion

von Thomas Hainscho

Thomas Hainscho, der letztplatzierte des Grand Prix 2003, meldet sich zurück, diesmal mit einem Spiel, das aus unerfindlichen Gründen Reunion heißt. Es fängt einigermaßen schwungvoll an: Ein Geräusch reißt den Spieler aus seiner Nachtruhe: Sein Dachspeicher brennt, und er findet ein Metall. Nach diesem Auftakt wird die Story lahm und wenig interaktiv. Der Spieler ist Forscher, wie sich herausstellt, und so beginnt die Analyse des Metalls, die allerdings ein Kollege vornimmt. Der Spieler läuft oder fährt herum und redet mit Empfangsdamen und Security-Leuten. Das Metall ist natürlich außerirdischen Ursprungs, und so stellt die Regierung eine Raumexpedition zusammen, all das wird in langen, in Kapitel aufgeteilten Cut-Scenes, Szenen, in die der Spieler nicht eingreifen kann, erzählt. Der einzige Zwischenfall auf der Reise ist ein Unfall, bei dem alle sterben. Nur unser Held kann sich retten und gelangt wohlbehalten zum Ursprungsplaneten des Metalls, wo ihn als Belohnung eine erkenntnisreiche Schlusspointe erwartet.

Dieses Werk ist sicherlich besser als der Vorjahresbeitrag des Autors, aber es hat immer noch erhebliche Mängel. Es gibt Gegenstände, die im Raum sind, aber nicht erwahnt werden. Und zu Beginn erwartet den Spieler ein vorzeitiger und unerwarteter Tod, wenn er ohne geeignete Ausrüstung einen Raum betritt. Die interaktiven Elemente lassen dem Spieler hier wenig Handlungsfreiraum, dieses Spiel wäre besser als CYOA angelegt worden.

Note: ausreichend

Unterwelt

von Christoph Oleschinski

Ein Zwischenfall in einer Müllverbrennungsanlage, in der der Spieler eine Strafe abarbeiten muss: Ein Baby gelangt in das Transportsystem, das die Abfälle zur Entsorgung bringt. Der Spieler muss eingreifen, und das ist nicht so leicht. Er ist allein – Wieso? Wo sind die anderen Sträflinge, wo das Aufsichtspersonal? -, er hat nur beschränkten Zutritt zu der Anlage und er kann die Maschinen nicht anhalten. Was macht der Spieler eigentlich hier?

Nachdem dem Spieler nach einer kurzen Eingewöhnungsphase das Problem berichtet wird, taucht das Baby in keinem Text mehr auf, weder in der Raumbeschreibung, noch in Texten, die am Ende jedes Zuges ausgegeben werden, die Dringlichkeit in dieser Notlage zu handeln ist dem Spieler so nicht bewusst, es sei denn er untersucht das System aktiv. Das ist aber in einer solchen Situation eben nicht so, der Spieler behält viel eher bei allem, was er macht, das Problem unterbewusst im Blick.

Ein weiteres Problem ist, das richtige Verb zu finden: Mit einer Zange kann man einen Ring nicht öffnen, aufweiten oder aufbiegen, mann muss ihn zerschneiden. Und wenn ich etwas auf die Kapsel werfe, meint der Parser, ich wolle es darauf ablegen. Ich muss es dagegen werfen. Das Ende ist unbefriedigend: Das Baby, durch die fehlenden Beschreibungen zu einem beliebiges Objekt geworden, wird schließlich gerettet, ansonsten passiert nichts.

Note: ausreichend

Zwei Jahre Später

von Florian Edlbauer

Ein CYOA-Adventure, das Elemente des Rollenspielsystems Risus verwendet. In Infotexten kann sich der Spieler vorab über seinen Charakter, einen Gaukler im Mittelalter, informieren, dann geht es rasant los: Ein Einbrecher hat etwas aus der Hütte des Spielers gestohlen, und so beginnt eine Verfolgungsjagd, bei der der Spieler sich auf seine Fähigkeiten und auf andere Personen, die er trifft, verlassen muss, um auf der Fährte zu bleiben.

Natürlich verzweigt sich je nach Entscheidung der Weg, den der Spieler nimmt, und Zeit (im Spiel) ist ein Faktor. Es gibt einige Sackgassen, aber meist führt der Weg auf die Fährte des Diebs zurück. Der Autor rät, das Spiel in einem Rutsch durchzuspielen, ich habe aber besonders im hinteren Teil schon einmal abgespeichert. Beim wiederholten Spielen habe ich dann auch die Anzeige der Würfelergebnisse eingeschaltet.

Die Identität des Flüchtigen wird nach und nach in zwei Szenen in der Vergangenheit aufgedeckt. Diese Szenen sind keine Cut-Scenes, sondern interaktiv, wobei die Interaktion hier eher dazu dient, mehr über den Hintergrund des Spielers zu erfahren. Wer sich eher auf die Verfolgung konzentrieren möchte, kann sie schnell beenden.

Weder CYOA- noch Rollenspiele liegen mir besonders. Aber der detaillierte mittelalterliche Hintergrund und die dazu passenden Beschreibungen der einzelnen Szenen haben mir gefallen. Und schließlich hat dieses Spiel nicht nur eine gut ausgebaute Spielerfigur, sondern mit dem Dieb und Gegenspieler Courtreste auch den besten NPC in diesem Wettbewerb.

Note: gut

Der 2. Mai

von Ferenz Ludewig

Der Spieler wacht mit Kopfschmerzen auf und muss sich nun in seiner eigenen Wohnung auf die Suche nach einer Schmerztablette begeben. Das einzige Hindernis dabei ist, dass der Autor zur Bewegung nur die Himmelsrichtungen zulässt, diese aber nicht in den Raumbeschreibungen angibt. So tastet man sich in diesem handwerklich unsauberen Spiel aus der Wohnung, und schließlich zur Apotheke, wo es ein Happy End gibt: Der von den Kopfschmerzen anscheinend nicht allzu geplagte Spieler bekommt sein Schmerzmittel und der Juror darf diesen langweiligen und belanglosen Beitrag abhaken.

Note: mangelhaft